Violetta ©Hanna Fasching

die Schwierigkeit, an der Welt nicht zu verzweifeln

Ich hab grad begonnen, einen Newsletter zu schreiben, in denen ich den lieben Menschen, die ihn regelmäßig lesen, erst einmal einen schönen Sommer trotz der Weltlage wüsche. Und anstatt dann gleich abzubiegen in die schönen Dinge, die ich zu berichten habe: eine neue Single! ein neues Video! einige Konzerte!, bin ich schreibend in Richtung Weltlage und Verzweiflung abgebogen, was ein Ausmaß erreicht hat, dass ich beschlossen hab, es nicht in meinen Newsletter, sondern hierher zu schreiben, to whom it may interest. Weil ich ja keine politische Kommentatorin sondern nur eine Musikerin mit einer Meinung bin. Also.

Die Dinge, die man nicht ändern kann, einfach zu akzeptieren, wird immer schwerer, weil oft die Illusion besteht, man könnte alles beeinflussen, mitgestalten oder gar ändern. Ich kann zum Beispiel Fahrrad fahren statt Auto und an Ärzte ohne Grenzen spenden. Ich kann mich für Gleichberechtigung einsetzen und versuchen, empathisch zu bleiben, auf wenn ich die Meinung meines Gegenübers nicht nachvollziehen kann. Ich kann meinen Kindern vorzuleben versuchen, wie man aufeinander zugeht und offen bleibt. Ich kann mit all dem versuchen, das (Zusammen)Leben zu verschönern.

Aber Entscheidungen des Supreme Court kann ich nicht beeinflussen. Gar nicht. Und die gerade getroffenen Entscheidungen sind schwer zu akzeptieren.

Es macht mir Angst, dass das amerikanischen Gesetz die Freiheit, eine Waffe zu tragen verteidigt, aber die Freiheit, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen, unterbindet. Und damit nicht zuletzt Frauenleben gefährdet, weil Abtreibungen nun nicht mehr legal sind, aber natürlich unter erschwerten Bedingungen trotzdem stattfinden werden. Lebensgefährlich. Das macht mich sprachlos und wütend und verzweifelt. In einem Land, in dem viele nicht einmal versichert sind und eine sichere Geburt geschweige denn Karenz nichts Selbstverständliches sind. In einem Land, in dem Frauen mit ihrer Schwangerschaft und ihren Babies einfach allein gelassen werden, einem Land, in dem – wie an vielen Orten der Welt – Frauen oft von Männern abhängig sind, finanziell und strukturell. Ich weigere mich, diese Entscheidungen vor dem Hintergrund von religiösem Glauben zu sehen. Sie bedeuten schlicht und einfach Machtausübung. Kontrolle über die Körper und Schicksale derer, die sich am wenigsten wehren können.

Ein Kind zu bekommen verändert das Leben einer Frau drastisch, und wenn sie nicht zufällig schon vermögend ist, erhöht sich das Risiko auf Armut und Altersarmut um ein Vielfaches. Mutter werden ist nicht leicht, man muss das nicht wollen! Und in den USA ist es noch viel weniger unterstützt und durch einen Sozialstaat abgefedert, falls es hart auf hart kommt, als hier. Und welcher privilegierte Mann kann behaupten, zu wissen, wie man als Frau nein sagt zu einem Mann, von dem man vielleicht wirtschaftlich abhängig ist, oder bedroht wird, oder auch nur sehr geschickt um den Finger gewickelt, ohne dass er selbst Verantwortung für die Verhütung zu übernimmt. Verdammt! Und ich will es hier nicht einmal begründen müssen, warum es ein Recht auf Abtreibung geben muss. Mir fehlen die Worte für so Vieles. 

Je älter ich werde, desto feministischer werde ich. Weil ich den männlichen Blick auf die Welt, mit dem ich mich früher selbstverständlich identifizieren konnte, als männlich erkenne, also: als privilegiert und sehr oft ohne gleichberechtigtes Gegenstück. Die meisten Bücher, Filme, Comics, Musik, die ich im Laufe meines Lebens konsumiert habe, stammen von (teilweise großartigen, weisen, klugen) Männern. Und ich habe gelernt, mich mit dem Subjekt dieser Bücher zu identifizieren, nicht mit dem (allzu oft weiblichen) Objekt. Selbst wenn es Männer sind, deren Kunst ich bewundere und liebe, merke ich doch immer mehr, wie mir der weibliche Blick abgeht. Es geht dabei nie darum, die Perspektive von Männern abzuwerten, sondern darum, mehr Vielfalt in unsere Perspektive auf die Welt zu bringen. Mehr Vielfalt, die auch zu mehr Empathie führt. 

Und je älter ich werde, desto feministischer werde ich auch, weil ich realisiere, wie weit wir noch entfernt sind von der selbstverständlichen Selbstbestimmtheit der Frau in der Gesellschaft. Ja, bei uns ist schon viel getan, aber selbst bei uns gibt es noch viel zu tun, fast jeder Blick auf Gruppen von Entscheidungsträger (selten: *innen) macht das schmerzhaft sichtbar.

Dass in den USA den Frauen das Recht auf Abtreibung höchstgerichtlich aberkannt wurde, just einen Tag nachdem die Freiheit auf das Tragen einer Waffe als Grundrecht (!!!????) eingestuft wird, ist einfach nur zum Verzweifeln. 

Ich versuche (immer), nicht zu verzweifeln, und mich auf alles Gute zu konzentrieren, was ich in die Welt bringen kann. Tief durchzuatmen und an Liebe, Frieden, und die Millionen von Menschen da draußen zu denken, die sich täglich um mehr Gerechtigkeit, Bildung, Verständnis bemühen. Es wird mit jedem Tag schwerer.

Comments: 3

  • Madeleine

    Antworten 29/06/202223:42

    Alles was du sagst. Der Welt etwas Gutes hinzufügen und die Grenzen der eigenen Beeinflussbarkeit anerkennen, als Mutter und Frau tagtäglich feministisch radikaler und ratloser werden und sich fragen, wie man in diesem Wahnsinn ein gutes und ausgeglichenes Leben leben soll und wo das denn hinführen soll, wird es schlimmer bevor es besser wird, hoffentlich?

  • Paul Saulus

    Antworten 18/10/202308:25

    Feminismus ist auch keine Lösung. Radikalisierung war nie eine Lösung für gesellschaftliche Probleme. Sie hat nur noch mehr Probleme verursacht. Einseitige, polarisierende ( der ist schuld ) Denkansätze, erscheinen ersten Moment verführerisch klar und einfach, erzeugen aber nur Leid, Kampf, und Hass.
    Was aber befriedet die Welt und die Welt mit mir , und ich mit und in mir ?
    “Liebe” mögen die meissten nun meinen, aber mir ist das zu flach und erscheint mir als infantil.
    Ich denke eher an einen stoizistischen Ansatz: FInde dich mit Dingen ab, die du nicht ändern kannst – finde deinen Platz – versuche nicht mehr zu sein als du bist, aber auch nicht weniger. Ruhe in dir selbst

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