Mutterschaft und Kunst

Dieser Text ist eine keynote, die ich im Rahmen der Präsentation einer Studie zu Vereinbarkeit von Film Fatal gehalten habe; hier zum (nach)lesen. Die Studie ist auch auf der website von Film Fatal zu sehen, und viele Aspekte davon sind auch über die Filmwirtschaft hinaus sehr interessant, und ein Anstoß (oder mehr) für Veränderungen.

I

Danke, Claudia Wohlgenannt, für die Einladung, hier von meiner Erfahrung als Mutter und Musikerin zu erzählen. 

Ich freu mich immer über Frauen, die differenziert über ihre Mutterschaft erzählen. Und ich will für andere eine dieser Frauen sein. Deswegen hab ich in den letzten Jahren Einiges dazu in meinem Blog geschrieben, so ist Claudia auf mich gekommen. 

Diese keynote wird einige Ähnlichkeit mit meinen Liedern haben: sie ist sehr persönlich, wissend, dass das Persönliche politisch und das Politische persönlich ist. 

Zwei Dinge will ich vorweg schicken:

1. ich sage Mütter, und meine: alle Menschen, die die Betreuung von kleinen Kindern oder Pflegebedürftigen als Hauptverantwortliche übernehmen. Das müssen nicht die biologischen Mütter der Kinder sein oder überhaupt Menschen, die sich als Frau identifizieren. Sondern die Hauptverantwortlichen, emotional und organisatorisch, und sehr sehr oft sind das die Mütter. Ich meine heute alle anderen, die in dieser Rolle sind, mit.

2. Die Liebe zu den Kindern ist absolut und unteilbar und ohne Grenzen, sie ist aber kein Garant für Glücklich-Sein mit der Mutterrolle. Das Eine hat mit dem Anderen nur bedingt zu tun, bzw. tut die Liebe auch oft weh, weil das Muttersein gerade nicht leicht ist, und man die Mutter, die man gerne wäre, nicht sein kann. Das will ich nicht immer dazu sagen müssen, aber ich tu es, weil diese Unterscheidung oft nicht mitgedacht wird, wenn man sich kritisch über die eigene Mutter-Rolle äußert. Sie ist aber wichtig, weil die Angst, dass die Liebe zu den Kindern dadurch bezweifelt werden könnte, eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema behindert.

II

Während ich diesen Text hier schreibe, wird meine to-do-liste länger, ich erspare sie euch, weil sie den Rahmen hier sprengt, zwischendurch schneide ich Äpfel, tröste ein Kind, röste Mandeln und sage ungefähr 20x: bitte frag den Papi, ich muss mich konzentrieren. Zuhause arbeiten, während die Kinder auch zuhause sind, tu ich glücklicherweise selten, und jetzt weiß ich wieder, warum.

Fertig schreibe ich den Text dann ein paar Tage später, und zwar in der Nacht, als die Kinder schliefen. 

Ich bin mir sicher, viele von euch kennen das, so oder so ähnlich. 

Denn auch, wenn arbeitsbezogene Dinge dringlich sind, haben kinder-bezogene Dinge immer schneller meine Aufmerksamkeit – sie sind so unmittelbar, wie das Trösten und der Apfel-Hunger. 

Was unter dieser Unmittelbarkeit in den letzten Jahren gelitten hat, ist vor allem meine so genannte Karriere.

III

Als ich schwanger mit meinem ersten Kind war, dachte ich, ich würde jetzt eine kurze Pause machen, sagen wir, drei Monate, und dann wieder genauso weitermachen wie davor: Konzerte spielen, Lieder schreiben, Nächte als DJ verbringen, wahnsinnig viel zu tun haben (ich wusste noch nicht, was das eigentlich bedeuten kann) und trotzdem am Abend öfter mal ausgehen, um Freund*innen zu treffen.

Dann kam das Kind, und das Gefühl von übergroßer Verantwortung. Dann kam eine postnatale Depression und der Punkt, an dem ich nicht daran glaubte, das Bett je wieder verlassen zu können. Ich hätte am liebsten alle Konzerte abgesagt, tat es aber nicht, weil ich es mir nicht leisten konnte. 

Meine Depression war vielen Dingen geschuldet, der frühkindlichen Erfahrung, meine eigene Mutter zu verlieren, inklusive Todesangst, aber es gab da auch gesellschaftlich bedingte Themen:

Wie kann ich mein Kind gut begleiten, die Verantwortung für ein Leben tragen? 

Bin ich eine gute Mutter, obwohl ich auch – unbedingt – Künstlerin sein will? 

Können meine Kinder glückliche Menschen werden, obwohl ich so unglücklich bin mit der Rolle, die mir als Mutter in dieser Gesellschaft zufällt?

Diese Themen begleiteten mich immer, und es gab kaum Zeit, sie zu be-denken und verdauen. Ich stolperte also durch mein musikalisches Leben, mit Baby in den Armen meines Mannes im Backstageraum, und konzentrierte mich auf’s Überleben.

Kurz nach der Geburt meines zweiten Kindes spielte ich ein solo-Konzert, das ich nie vergessen werde. Ich hatte es angenommen, weil es ein guter Job war, weil ich schlicht und einfach das Geld brauchte, nicht aus Leidenschaft oder dem Gefühl, viel zu geben zu haben. Und das hab ich dann auch gespürt: es war leer, anstrengend, ohne Resonanz in mir.

Da hab ich realisiert, dass ich mein Verständnis von Musik und mein Verständnis von Mutterschaft nicht vereinen kann – oder: noch nicht vereinen konnte, aber das war zu dem Zeitpunkt nicht klar – da war nur klar, dass es sich hinten und vorne nicht ausgeht.

Also hab ich alle geplanten Auftritte abgesagt. Pause zu machen von der Doppelrolle als Künstlerin und Mutter erschien mir eine Notwendigkeit. 

Ich wollte ja die beste Musikerin sein, die ich sein kann, nicht die leere Hülse, die ich gerade war.

Aber die beste Mutter zu sein, die ich sein kann, war dringlicher, und drängte alles andere in den Hintergrund. 

IV

Aus dieser Pause wieder aufzutauchen, alles zu ordnen und langsam in Form von Liedern zu formulieren, sprich: wieder Musik zu machen, dauerte Jahre. Und dass ich es überhaupt geschafft habe, hat was damit zu tun, dass ich verhältnismäßig privilegiert bin. Das sag ich dazu, weil ich Transparenz wichtig finde. Sie verhindert, dass der Eindruck entsteht, der eben manchmal von außen entsteht: die schafft das so locker! Nur ich kann das nicht! 

Also. 1. schaff ich’s nicht locker, 2. schaff ich’s nur wegen dieser Privilegien:

  1. Ich hab einen Mann, der 50% der Kinder-Betreuungs-Zeit übernimmt. 
  2. Ich hab einen Raum, in dem ich schreiben und Klavier spielen und mich konzentrieren kann.
  3. ich hatte ein Erbe, das mir als junge Mutter ein paar Jahre sehr-wenig-verdienen und zweieinhalb Jahre Psychotherapie ermöglicht hat. 

Diese Privilegien würde ich jeder Mutter wünschen. Wir wissen aber, dass viele Männer keine 50% übernehmen können oder wollen, dass rooms-of-one’s-own rar und teuer sind, und dass Erben das ungerechteste Phänomen überhaupt ist.

Das Glück, dass ich diese Dinge in meinem Leben hab, ist der Ermöglichungsgrund für das Meiste, was ich in den letzten Jahren musikalisch und organisatorisch geschafft habe, und sie haben mit Zeit und mit Geld zu tun, und das sind die zwei Dinge, die jungen Müttern tendenziell fehlen. 

Unglaublich, aber wahr: Frauen, die Mütter werden, verdienen weniger als jene ohne Kinder. Und zwar 70% weniger.

Ich weiß das aus dem Buch von Mareice Kaiser „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ (Seite 80), ich kann es nur empfehlen, denn was sie schreibt, kombiniert mit Zahlen und Fakten, hat mir bewusst gemacht, dass das, was ich fühle, was ich will und mir wünsche, und worunter ich leide, nichts zu Persönliches, zu Intimes oder Unwichtiges ist. 

Sondern politisch relevant und begründet, weil den politischen Rahmenbedingungen geschuldet, unter denen wir leben. 

Überhaupt: Mutterthemen werden als Frauenthemen, Frauenthemen werden als Nischenthemen dargestellt, Vaterthemen sind Männerthemen und damit Menschenthemen. 

Wie erstaunlich, dass es immer noch so ist. 

Wenn ein Mann etwas über seine Welt sagt, gilt es für ihn als Mensch, und somit für uns alle. wenn eine Frau das gleiche tut, ist es nur etwas für Frauen. 

V

Dabei gibt es wenig, was uns alle so sehr betrifft, wie Mutter-Sein – immerhin gebären und begleiten Mütter die kleinen Menschen, die später groß sind und unser aller Pension bezahlen sollen. Also wenn das nicht politisch und wirtschaftlich relevant ist, was dann?

Ist es dann nicht auch wichtig, dass Mütter aus ihrer Sicht auf die Welt erzählen? Das es Filme und Literatur und Musik gibt aus der Sicht von Müttern? Dass die Sicht von Müttern als selbstverständlicher Teil des Kanons geframed wird, und nicht als Nischenthema?

Ich finde, schon. Aber wir dümpeln immer noch in alten Klischees herum. Und allzu oft passiert es noch, dass Mütter junger Kinder in der Privatheit des eigenen Familienlebens verschwinden. Das mag selbstgewählt und gut sein, aber es muss mögliche Wege zurück ins Berufsleben, auch ins Künstlerische, geben. Diesen Weg für sich zu finden ist nicht einfach, weil es ein harter Weg ist, und verdammt viele Steine darin liegen.

Denn immer noch ist unser Leben als Mütter geprägt von uralten Rollenbildern, die sich nicht nur in den Köpfen der Menschen, sondern ganz konkret in unserem Steuersystem, im Kinder-Betreuungs-Angebot, im Bildungssystem, in Unternehmensstrukturen, in der Medienlandschaft etc.etc. manifestiert haben.

In unsichtbaren, harten Zahlen und Fakten also, innerhalb derer wir leben.

Heute werden wir um Zahlen und Fakten bereichert, und das ist so wichtig, weil es uns vor Augen führt, dass die Probleme, von denen wir dachten, dass es unsere intimsten und persönlichsten sind, weitverbreitet sind und somit offenbar gesellschaftliche Vorbedingungen haben. Diese zu verstehen, ermöglicht auch, Lösungsansätze zu finden.

VI

Außerdem macht die Erkenntnis, dass das eigene Problem größer ist als man selbst, es auch leichter, darüber zu reden. Oft reden wir nicht darüber, weil wir nicht jammern wollen. Weil wir das Gefühl haben, dass alle anderen das ja auch irgendwie schaffen, dieses Mutter-Sein und gleichzeitig einem ernstzunehmenden Job nachgehen. Uns wurde ja auch jahrzehntelang suggeriert, dass wir dankbar sein müssen, wenn wir Kinder und Job haben können. 

Wir können jetzt alles haben! Da können wir uns doch jetzt nicht darüber beschweren!

Oja. Können wir. Sollen wir. Nicht jammernd, sondern eine Schieflage ansprechend, die es zu bekämpfen gilt. 

Denn seit Mütter alles sein können, müssen sie auch alles sein. Das schwingt immer mit. Wir schauen auf zum Ideal der “Power-Frau”. Gibt es eigentlich auch Power-Männer? Werden männliche Politiker und Popstars über Vereinbarkeit gefragt und über das schlechte Gewissen, das sie ihren Kindern gegenübern haben, weil sie so viel arbeiten? Nein (außer im “Frauenfragen”-Podcast von Mari Lang, die heute den roten Faden als Moderatorin gehalten hat).

Väter und Mütter werden mit zwei völlig verschiedenen Erwartungshaltungen konfrontiert, und solange der Glaubenssatz, dass die Mütter sich immer noch als Hauptverantwortliche emotional und organisatorisch um die Kinder kümmern müssen, im Hintergrund unhinterfragt weiter rauscht, glauben wir selbst sogar, da mithalten zu müssen.

Ich halte da nicht mit.

Ich scheitere sowieso täglich an meinen Ansprüchen. Und nein, ich meine nicht die Ansprüche, eine immer aufgeräumte Wohnung, fleckenlos gebügelte Kinderkleidung, und ein täglich frisch gekochtes, abwechslungsreiches und gesundes Essen am Tisch stehen zu haben. Davon bin ich weit entfernt.

Ich will einfach nur eine Mutter sein, die ihre Kinder gut begleitet, und eine Künstlerin, die Relevantes von sich gibt. Wie jeder Vater, der auch Künstler ist, auch.

VII

Das Lied, das ich über meine postnatale Depression geschrieben habe, ist bis heute das Lied, auf das mich die meisten Leute ansprechen. Lange habe ich überlegt, ob ich mich traue, es zu veröffentlichen, und bin unglaublich froh, dass ich mich drüber getraut hab. Es zeigt mir und allen, die damit resonieren, dass uns viel mehr gemein ist, als wir dachten. 

Wenn wir beginnen, ehrlich über das zu reden, was uns zutiefst beschäftigt, verbindet und erleichtert uns das erstens, und zweitens stoßen wir auf gesellschaftspolitsche Themen, die es anzugehen gilt.

Und ich denke, das sind so Einige. 

Ich wünsche mir mehr Mütter auf den Bühnen, in den Moderationssesseln, hinter und vor den Kameras. Ich wünsche mir, dass wir ihren Stimmen Raum geben, und zwar absichtlich und aktiv, also dass wir sie vor den Vorhang holen und ermutigen, ihre Perspektive auf die Welt mit uns zu teilen.

Ich brauche diese Perspektive – ich brauche Vorbilder und Begleiterinnen, ich will wissen, wie es den anderen geht, ich will auch getröstet sein von der Tatsache, dass ich nicht allein bin.

Wenn ich während eines Konzertes von meinem Hadern mit der Mutterrolle erzähle, schwappt mir so viel Dankbarkeit entgegen, von Frauen, die Mütter sind, aber auch von jenen, die es noch nicht sind oder nie sein wollen: es tut allen gut, wenn man differenziert von der Art und Weise spricht, wie man selbst Mutterschaft lebt. Ohne Idealisierung oder Verteufelung. Sondern genauso vielschichtig und komplex, wie es eben ist. 

Das ist auch der Hauptgrund, warum ich mich so freue, heute hier zu sein.

Danke

Comments: 4

  • Ulla

    Antworten 03/06/202209:32

    Super Eintrag! Das Thema treibt mich schon lange um. Ich wollte es dir es gerne persönlich sagen, hab dich aber nicht gesehen, in den letzten Tagen. So präzise formuliert! Danke! Alles liebe ulla

  • Kerstin Ragette

    Antworten 05/12/202320:10

    Liebe Violetta Parisini,
    deinen Namen lese ich schon seit vielen Jahren, da und dort, wo Musik besprochen und gelesen wird, ich glaube ich war zum Hören zu jung.
    Jetzt holt sie mich ab und ein, wie auch dieser Text, vielleicht weil dann auch Jahre der Mutterschaft eingezogen und vergangen sind, ich mich als Musikerin und Mutter darin wiedererkenne – gerade frage ich mich wie ich auf diese website gestoßen bin? Ach ja, ich hab eine Person vom SKE fonds gegoogelt und dann hier gelandet.
    Danke für den Text hier.
    Und besonders gern mag ich dein Lied Gespenster – vA deine Stimme.
    Am Samstag bin ich auf der Wandel*Werkstatt und hab gesehen dass du da spielst, darauf freu ich mich.
    Alles Liebe,
    Kiri

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