Wissen, was ich will

oder: der Mut, zu wollen, was ich will.

Zu wissen, was ich will, auch wenn es dem Willen von anderen Menschen, die ich liebe, widerspricht, das fällt mir nicht leicht, und es beschäftigt mich regelmäßig. Natürlich bin ich auch selbst lieber mit Menschen, die wissen, was sie wollen, und es formulieren. Mit ihnen kann ich gut umgehen, ich weiß, woran ich bin, und wenn wir mal nicht das Gleiche wollen, diskutieren oder verhandelt wir es eben aus. Wenn jemand allerdings immer nur um das herumtanzt, was andere wollen, und nie sagt, was er*sie selbst will, schlittert man nur von einer Enttäuschung in die andere. Ihr kennt das vielleicht. Ich kenn’s jedenfalls gut, und auch, wenn ich genau weiß, dass Klarheit für alle immer viel einfacher und im Endeffekt auch liebevoller ist, passiert es mir immer noch manchmal. Dann schau ich lieber, dass alle anderen haben, was sie brauchen, und tu so, als müsste ich dafür Kompromisse eingehen. Uff. Es fällt mir schwer, das zuzugeben, weil ich es so hasse. Diesen „Ich-bin-doch-so-gut“-Scheiß. Er ist nämlich unnötig: Kompromisse geh ich natürlich oft ein, ich bin Mutter, Partnerin, ich lebe in der Welt, die sich nicht um mich herum biegt. Und mein Gefühl für Verantwortung ist riesenhaft. Aber ich rede ja nicht von überzogen egoistischem Verhalten, sondern von Klarheit. Klarheit über die eigenen Bedürfnisse und den eigenen Willen zu haben ist die Basis jeden guten Zusammenlebens. Erst mit dieser Klarheit kann man Kompromisse so eingehen, dass alle Beteiligten gut miteinander bleiben. 

die Geschichte von “richtig” und “falsch”

Meine Angst davor, zu wollen, was ich will, hat Geschichte, und es ist eine Geschichte von „richtig“ und „falsch“.

Ich hab noch meine Tante im Ohr, die mit mir schimpfte, wenn ich mich nicht schnell entscheiden konnte: „du musst doch wissen, was du willst!“ während ich fieberhaft überlegte, was „die richtige“ Entscheidung sein könnte. 

Dass mein eigenes Wollen richtig sein könnte, so wie es war, das kam mir gar nicht in den Sinn. Ich war damit beschäftigt, alle Menschen um mich herum, ihren Willen, ihr Wertesystem, zu erspüren und zu verstehen, damit ich mich darin einfügen könnte. Einerseits hab ich also versucht, „das Richtige“ zu wollen, um auch „richtig“ zu sein. Andererseits nimmt dieses ständige Hin-Spüren auch viel Aufmerksamkeit in Anspruch, und lenkt von dem eigenen Wollen ab. 

Wenn Kindern etwas passiert, das so verletzend, so falsch ist, dass es das Potential hat, die ganze Welt in Frage zu stellen, dann kann es passieren, dass sie daraus schließen, selbst wohl falsch sein zu müssen. Weil sie in einer falschen Welt nicht leben könnten. Dass sie es selbst sind, ist die einfachere Erklärung. Und weniger schmerzhaft, als zu realisieren, dass die Welt rundherum es ist (verletzend, rücksichtslos, tod-bringend). Das Falsch-Sein wird also internalisiert. Und dann kann man (ohne Ende und Ergebnis) versuchen, es wieder „richtig“ zu machen. 

Ich weiß jetzt, erst jetzt, dass ich mir nicht böse sein muss, weil ich so viele Umwege gegangen bin, vor lauter nicht-wissen-was-ich-will. Vor lauter Angst, es wieder „falsch“ zu machen. Und ich weiß, dass manche Prozesse Jahrzehnte dauern. Es nervt, zwischendrin, wenn ich wieder mal lieber mach, was andere wollen, weil es mir zu kompliziert oder zu anstrengend ist, zu wollen, was ich will. Aber ich hab schon ganz viel Weg hinter mir. Und wollen tu ich auch noch viel.

Aber wie weiß ich denn jetzt, was ich will?

Wie ich weiß, was ich will, weiß ich immer noch nicht genau, aber 1. hab ich keine so große Angst mehr, etwas „falsch“ zu machen, und 2.: wenn’s wirklich wichtig ist, versuche ich, es in Ruhe zu spüren. Irgendwo in mir gibt es diese Instanz, die es weiß. Sie ist wie ein Kompass, den man ja auch ruhig halten muss, damit er einem was zeigt. Und wenn ich’s dann immer noch nicht weiß, muss ich halt mein Hirn einschalten und draufkommen, was mich daran hindert, es zu wissen. Oder einfach das entscheiden, was sich gut anfühlt. Das kann dann nicht ganz verkehrt sein, und wenn schon, hab ich wieder was gelernt.

Das ganze Konzept von „Falsch“ und „Richtig“ will ich nicht mehr glauben: Ich will mir zugestehen, Entscheidungen zu treffen, die andere total daneben finden, wenn sie sich für mich gut anfühlen. Es ist ja meine Entscheidung. Vielleicht finde ich andere Dinge wichtig in meinem Leben, vielleicht will ich etwas anderes erfahren als mein Gegenüber. Wir müssen nicht die selben Dinge anstreben, die selben Dinge wichtig oder richtig finden. 

Anders gesagt: was in einer sexistischen, kapitalistischen, leistungsorientierten, zutiefst ungerechten Welt als „richtig“ wahrgenommen wird, ist vielleicht nicht immer das, was auch ich „richtig“ finde. Zum Beispiel will ich den Status eines Menschen nicht als wichtiger erachten als seine Liebenswürdigkeit. Oder Millionenerben unbesteuert erben lassen. Wer genau dann mit seinem „richtig“ recht hat, das kann ich nicht sicher wissen (natürlich glaube ich: ich!). Aber ich will mich nicht immer darum bemühen, recht zu haben oder „richtig“ zu sein. Die Sehnsucht nach „recht haben“ und „richtig sein“ hat das Zeug, Menschen ins Unglück zu stürzen und Kriege zu entfachen. Also nein. Der Sinn des Lebens ist Leben. Hat schon Casper gesagt. Und ich glaub, er hatte recht. 

PS.: Es gibt einige Dinge, auf die wir uns einigen müssen, wenn wir als Gesellschaft gut miteinander leben wollen. Da gibt es manchmal schon “Richtig” (sich solidarisch mit Schwächeren verhalten, Steuern zahlen, in einer Pandemie Masken tragen und eigene Bedürfnisse zurückstecken, um dazu beizutragen, übervolle Intensivstationen zu verhindern zB). und “Falsch” (andere diskriminieren, weil sie anderer Hautfarbe, sexueller Orientierung oder Herkunft sind; Wissenschaft als Verschwörungstheorie framen, oder die NS-Zeit verharmlosen, indem man sich selbst mit Juden vergleicht zB) und das ist gut so.

PPS.: die overall-Richtung #givinglessfucks fühlt sich gut an.

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