Vereinbarkeit II

keynote anlässlich der Veranstaltung „wer gibt den Ton an“ der Wiener Grünen und der Grünen Bildungswerkstatt am 17.1.2023

Ich rede heute über Vereinbarkeit. Wenn wir über Vereinbarkeit nachdenken, müssen wir über Zeit, über Geld, über alte sexistische Muster, und über Privilegien nachdenken. Das versuche ich heute anhand meiner eigenen Biographie. 

Ich erzähle Persönliches, wissend, dass das Persönliche politisch und das Politische persönlich ist. 

Ich schreibe hier über Mütter*, das Sternchen soll bezeichnen, dass es nicht nur um die Menschen, die die Kinder geboren haben, gehen soll, sondern um alle Betreuungsoflichtige von (kleinen) Kindern, idealerweise sogar um alle Care-Arbeiter*innen. Ich verwende das Wort Mütter* trotzdem, weil es tatsächlich vor allem die Mütter sind, die all diesen Problemen ausgesetzt sind.

I

Ich stamme aus einem weißen, Wiener, sogenannten Bildungshaushalt, war auf einem Mädchen-Gymnasium, bekam ein Auslandsstipendium, konnte Philosophie studieren. 

Wenn ich in Übungen und Seminaren geredet hab, hatte ich Freude daran, meinen männlichen Kommilitonen mit Argumenten und der puren Geschwindigkeit meines Redens zu zeigen, dass sie mich nicht klein kriegen, schon gar nicht wegen meines Geschlechts. 

Ich war mit einem alleinerziehenden Vater aufgewachsen und hatte gelernt, mich mit den Hauptpersonen in Büchern und Filmen zu identifizieren, egal welchen Geschlechts, aber jedenfalls mit den Handelnden. Ich rasierte mir die Haare ab und freute mich an meiner Androgynität.

Seit ich Anfang 20 war, habe ich vor allem als DJ mein Geld verdient, und das Gefühl gehabt, dass die Tatsache, eine Frau zu sein, mir Vorteile bringt – es war damals als DJ auch ein Alleinstellungsmerkmal.

Später habe ich begonnen, Lieder zu schreiben, mit einem Produzenten aufzunehmen und zu veröffentlichen, und hatte wieder das Gefühl, dass die Tatsache, eine Frau zu sein, mir Vorteile bringt – dass vor allem junge Frauen gerne gefeiert werden, und zwar nicht nur als selbstermächtigte Subjekte, war mir damals noch nicht so bewusst wie heute.

Als Feministin bezeichnete ich mich aus theoretischen Gründen, nicht aus Notwendigkeit. Ich fühlte mich durch und durch unabhängig.

Ich war eine gute Verbündete des Patriarchats. 

Dann wurde ich schwanger und bekam ein Kind. Mit diesem Ereignis tat sich ein großes schwarzes Loch auf (dem ich einige Lieder gewidmet habe). Ich konnte nicht fassen, wie sehr mich mein Körper im Stich ließ. Ich konnte nicht fassen, dass mich so ein kleines Wesen tatsächlich 24 Stunden, 7 Tage die Woche, beschäftigte. Dass ich mit einem Schlag keine Zeit mehr hatte, und zwar für nichts außer für das Allernotwendigste. Ich konnte nicht fassen, wie überwältigend das Gefühl für Verantwortung war, und vor allem, wie viel Angst ich haben konnte, wie hilflos und ausgeliefert ich mich fühlen konnte.

II

Erst durch mein Mutterwerden spürte ich, was es auch bedeuten kann, eine Frau in dieser Gesellschaft zu sein. 

Nachdem es in den ersten Jahren ein sehr persönlicher, psychischer und finanzieller, Struggle war, Mutter zu sein, kam im Laufe der Jahre die Realisation, dass es eigentlich ein Kollektiver ist. Und was für einer!

Es gibt einige Zahlen zu diesem kollektiven Struggle, zwei Beispiele:

Frauen, die Kinder bekommen, gehen zu 95,4 Prozent über 10 Monate lang in Karenz. Die Väter zu 7,6 Prozent (Alexandra Zykunov „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“, S21). 

Frauen, die Kinder kriegen, verdienen 70 Prozent weniger als ihre kinderlosen Geschlechtsgenossinnen (Mareice Kaiser, das Unwohlsein der modernen Mutter, S80).

Außer Zahlen gibt es noch endlos viele subjektive Erfahrungen:

Wenn Männer einen Monat „Elternzeit“ nehmen, sind sie in den Augen der Gesellschaft hoch engagierte Väter. Mütter hingegen, die sich erlauben, zu früh wieder arbeiten zu wollen, werden mit großen Augen gefragt, wer denn jetzt auf ihre Kinder aufpasst. Wenn es darum geht, ein krankes Kind abzuholen, ein playdate oder eine Geburtstagsparty auszumachen, werden verlässlich die Mütter angerufen.

Es gibt 1000 solcher Kleinigkeiten, die viele von euch sicher bestätigen können. 

Dass unsere Umgebung durch und durch sexistisch ist, wurde mir erst als Mutter schmerzlich bewusst.

III

Wenn man über Vereinbarkeit redet, muss man auch über Geld und Zeit reden. 

Weil: auf vorher ungeahnte Weise schrumpft beides auf ein Minimum, sobald man ein Kind in die Welt gesetzt hat. 

In den ersten Jahren nach meinem ersten Kind habe ich noch Konzerte gegeben mit Mann im Backstageraum, und versucht, ein drittes Album aufzunehmen. Doch nach dem ersten Konzert, das ich nach der Geburt meines zweiten Kindes gegeben habe, wurde mir klar, dass ich mich verlangsamen muss, wenn ich als Mutter und als Künstlerin überleben will. 

Ich habe nicht aufgehört, im musikalischen Kontext zu arbeiten, aber das Projekt als Solokünstlerin wollte ich erst weiterführen, wenn ich wieder die Kraft und den Willen hatte, mein Herzblut da hineinzugießen und zu formulieren, was ich zu sagen hab. Ich hatte auch nicht das Gefühl, Relevantes zu sagen zu haben, und merke erst im Laufe der Jahre, dass die Lieder, die ich in dieser Zeit geschrieben habe, sehr relevant sind, nicht nur für mich.

Ich konnte die Zeit der Bühnenpause und danach bis zum heutigen Tag als Künstlerin nur überleben, 

  1. weil ich Geld geerbt habe, das mich über die Zeit des wenig-Verdienens gerettet hat und mir eine Psychotherapie finanziert hat – Erben ist ja eines der ungerechtesten Phänome überhaupt, es ist momentan in Österreich steuerfrei, dabei würde eine Erbschaftssteuer in der Mehrheit der Bevölkerung befürwortet, offenbar gibt es da zu wenig politischen Willen. 
  2. weil ich einen Mann habe, mit dem ich mir die Kosten unseres Lebens teile, und der andererseits seinen Teil der Kinderbetreuung übernimmt. 
  3. weil die Kinder eine räumlich nahe, engagierte und liebevolle Großmutter und auch andere Familienmitglieder haben, die ihnen Ihre Zeit und Liebe widmen
  4. als letzten, für Entscheidungsträger*innen im Musikbusiness relevanten Punkt: weil ich 2021 das SKE-Jahresstipendium bekommen hab, das mich in einer Zeit des großen Zweifelns, nach einem versuchten Neustart mit einem Album, das ins Corona-Loch gefallen ist, darin bestätigt hat, weiter zu machen. Dazu muss ich sagen, dass das ein Stipendium ist, um das man nicht ansucht, man wird von einer Jury nominiert; für Recherche und Ansuchen hätte ich – ganz abgesehen von der Zeit – 2020 weder die Nerven, noch das Selbstbewusstsein gehabt.

Dass ich inzwischen wieder auf Bühnen stehe, und die Zeit hatte, mir all diese Lieder auszudenken, wurde mir von all dem ermöglicht, und dass es nicht selbstverständlich ist, Ressourcen und Unterstützung zu haben, daran sollten wir dringend arbeiten, wenn wir Mütter bzw. Gebärende in der Musiklandschaft halten wollen.

Derartige Hilfestellungen könnte man auch politisch umsetzen, indem man zB ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle oder mindestens: ein bedingungsloses Grundeinkommen für Betreuungspflichtige bzw. Carxe-Arbeiter*innen einführt, und sich gleichzeitig um ein lückenloses und leistbares Kinderbetreuungsangebot kümmert. Inklusive gerecht bezahlter Betreuer*innen. 

Gerade kleinen Selbstständigen, und das sind fast alle freischaffenden Musiker*innen die ich kenne, würde das ermöglichen, ohne existentielle Nöte Kinder zu kriegen.

Und für alle, die gerne wirtschaftlich argumentieren:

a. Kinder sind ja immerhin die Pensionsversicherung für unsere Generation, man könnte das also durchaus als Selbstverständlichkeit sehen, dass die Menschen, die sich um Kinder kümmern, dementsprechend finanziell unterstützt werden. 

b. Finanzielle Not macht großen Stress, und Stress macht nichts Gutes mit der kindlichen Entwicklung, dem Familienklima und der Eltern-Kind-Bildung, ganz abgesehen von der mentalen Gesundheit aller Beteiligten. Mental struggelnde Menschen wiederum müssen unterstützt werden, das ist dann wieder teuer für die Gesellschaft.

Mein Schluss aus all dem:  

Bis das bedingungslose Grundeinkommen für Betreuungspflichtige umgesetzt wird, es könnte ja noch ein paar Jahrzehnte dauern, braucht es ein Stipendium für Musiker*innen, die Mütter* geworden sind, wenn wir relevante Musik von dieser Bevölkerungsgruppe wollen. Und das will ich und glaube, dass es viele wollen. Abseits vom high-end-Mainstream, wo finanzielle Durchschlagskraft und Heerscharen von Nannies und Support-Personal so manches Problem lösen, muss man bis dato ja noch die Mütter in der Popmusik oder Indie-Musiklandschaft mit der Lupe suchen. Dass FLINTAs ab Mitte 30 deutlich seltener in der Musiklandschaft vertreten sind als Männer in diesem Alter oder junge Frauen, ist wohl kein Zufall. Ich persönlich sehne mich aber nach Vorbildern, und ich glaube, damit bin ich nicht alleine.

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