2020, wir sind jetzt fertig miteinander. Danke für alles. Baba.
27. Februar 2020: Carola Schmidt zeigt mir ihr Bühnen-Vorbereitungs-Ritual, Rania Moslam hält den Moment fest. Meine Band stimmt ihre Instrumente. Ich bin vorfreudig, aufgeregt, gleich geht’s los: nach 8 Jahren Stille schicke ich mein drittes Album in die Welt.
Viele Hoffnungen und Pläne begleiten diese Zeit, die nur 12 Tage währt, um dann am Flughafen Wien Schwechat ihr jähes Ende zu finden: also doch keine Konzerte in Indien, so wie monatelang geplant und vorbereitet. Auch keine Konzerte in Wien, München, anderen kleineren und größeren Orten. “Alles Bleibt“, das ich in die Welt schicken und groß werden lassen wollte, begleitet den ersten Lockdown. Ich trauere.
Eine neue Lebensphase
Die Konzerte in Indien hätten der Auftakt für eine neue Lebensphase sein sollen. Eine, in der ich als Musikerin und Mutter keine Angst mehr habe, eine der zwei Rollen nicht erfüllen zu können. Weil beide Rollen inzwischen stabil genug sind. Mich das zu trauen, dafür hatte ich lange gebraucht. Selbstbewusstsein als Mutter hab ich erst nach ein paar Jahren Übung gefunden. Wie das geht, ein und dann zwei Kinder auf ihrem Weg zu begleiten, musste ich erst herausfinden, ich war voller Zweifel und offener Fragen. In einigen dieser Jahre habe ich mir selbst eine Bühnenpause auferlegt, weil ich überfordert war von den verschiedenen Ebenen meines Lebens. Ich hatte das Gefühl, dass all meine Kreativität und alles, was ich denke und zu sagen habe, direkt in meine Kinder und mein Verhältnis zu ihnen fließt. Mich auf eine Bühne zu setzen und zu behaupten, ich hätte etwas zu sagen, was für mein Publikum relevant ist, das ging nicht. Was hätte ich sagen können? Ich musste die Dinge zu Ende denken und fühlen. Ich wusste noch nicht, dass diese Phase mir den Weg zu „Alles Bleibt“ eröffnen würde. Wie so oft, hat sich erst im Nachhinein alles zusammengefügt und Sinn ergeben. Und auch wenn die neue Lebensphase, in der ich mein Musikerinnen-Dasein wieder ganz auslebe, nicht mit einem großen Knall und Konzerten in Indien, sondern schleichend, nach und nach, beginnt, so ist für mich doch sehr spürbar, dass sie da ist, und darüber bin ich sehr froh.
Elternsein, ein Balanceakt
Inzwischen ist es für mich auch selbstverständlich und leicht, Mutter zu sein. Natürlich nicht in jedem Moment. Aber ich zweifle nicht mehr an der Basis. Die Basis: Klarheit. Klarheit darüber, dass Brauchen und Wollen nicht das Gleiche sind, und dass ich meinen Kindern das geben muss, was sie brauchen (zB Trost und Begleitung), aber nicht immer das, was sie wollen (zB noch ein Stück Schokolade und noch ein Kapitel mehr vorlesen). Klarheit darüber, dass mein eigenes Bedürfnis nach Ruhe und Allein-Sein zu erfüllen genauso wichtig für unser Familien-System ist, wie mein grundsätzliches Da-Sein. Klarheit darüber, dass ich es mir leisten kann, regelmäßig ganz weg zu sein, weil ich glücklicherweise einen Partner habe, der dann ganz da ist. Das alles ist ein Balanceakt, den ich von Jahr zu Jahr besser beherrsche. Hin und wieder fall ich vom Seil und ärger mich über mich selbst, aber die Grenzen spürt man eben nur, wenn man sie auch manchmal übertritt. Auch das gestehe ich mir leichter zu als früher.
Liebe, tatsächlich
2020 hat für mich auch die (erneute) Realisation gebracht, dass ich im Laufe der Jahre Menschen um mich geschart habe, die ich lieben kann. Inklusive Eigenheiten, grantigen Anfällen, Zweifelattacken und dünnen Nerven. Dass ich nach diesem Jahr immer noch glaube, den genau richtigen Mann erwischt zu haben, ist wohl ein Beweis dafür, dass es stimmt. Alle Liebeslieder der letzten 10 Jahre habt ihr ihm zu verdanken, inklusive See und Deine Hände. Es werden wohl noch mehr. Und auch meinen Freund*innen hab ich Lieder geschrieben, vor allem dieses: Ein Schritt Nach Dem Anderen. Die ruf ich nämlich an, wenn mich der Zweifel beutelt. Denn von außen sieht man klarer. Und kann einander Sachen sagen wie: es ist ok. Du machst das gut, so gut es jetzt grad geht. Und es wird auch wieder besser gehen. Du musst nicht perfekt sein, um geliebt zu werden. Du musst überhaupt nichts anderes sein als das was du bist, um geliebt zu werden. Du darfst Fehler machen, meinetwegen auch öfter. Du darfst dich im Kreis drehen und in jeder Runde nur ein kleines bisschen gescheiter sein. Du darfst um Hilfe bitten, du darfst dich trösten lassen. Du darfst dich auch im Ton vergreifen und sauer sein. Du darfst vor Freude fast platzen, auch wenn es mir gerade nicht so gut geht. Du darfst groß und stark und mächtig sein. Wir sind jetzt alt genug, um das auszuhalten und zu wissen: deine Größe inspiriert meine Größe. Nach einem Sturm kommt eine Erkenntnis. Nach den Tränen kommt die Erleichterung. Jenseits von Arroganz und Zweifel liegt die Selbstliebe, in der die Liebe für die ganze Welt enthalten ist, so schwer zu fassen, noch schwerer zu halten, aber für uns das höchste Ziel.
Offene Ohren, offene Herzen
Nicht zuletzt habt ihr, liebe Leser*innen und Hörende, mein Jahr zu einem Guten gemacht. Jede Nachricht von Hörer*innen beglückt und bestärkt mich. Ich will ganz viel danken: dass ihr nicht still gehört habt, sondern auch mir geschrieben. Das hat mich darin bestärkt, dass es trotzdem gut ist, wie es ist: dass die Musik auch in den Herzen ankommt, wenn ich die geplanten Konzerte nicht spielen kann. Dass Format-Radio-Untauglichkeit auch in diesen Zeiten kein Todesurteil für ein Album ist. Das waren meine Befürchtungen. Dass es einfach untergeht. Ist es aber nicht. Ihr habt mir bewiesen, dass Musik system- und herzensrelevant ist. Bitte hört nicht auf damit. Aus jedem eurer Dankesworte keimt Mut, ein neues Lied, große große Dankbarkeit. Danke.
Dieses Jahr hat Pläne durchkreuzt und Hoffnungen begraben, aber andere neu auftauchen lassen. Jetzt bereite ich mich wieder vor. Leider nicht mit Carola im Backstageraum. Aber innerlich. Auf 2021. Mit einer klaren Ausrichtung: es wird weiter gehen, und selbst wenn ich nicht weiß, wie, gestalte ich dieses Weitere. Mit Freude und Dankbarkeit für alles Gelernte, und so viel Gelassenheit, wie ich aufbringen kann.
Los geht’s
Ok. Der Sprudel ist gekühlt, die Tränen sind geweint, und gelacht hab ich beim Schreiben auch. Ich geh jetzt zurück ins Wohnzimmer zu Sixtus und den Kindern.
2021, du kannst kommen. Ich bin bereit.
Andrea
02/03/202110:35Liebe Violetta,
danke für die klaren, bereichernden Zeilen, die mir so aus der Seele sprechen!
Besonders was du über Mutterschaft und das Musikerinnen- Dasein sagst, erlebe ich haargenau gleich – alle Kreativität fließt in der ersten Zeit in die Kinder, alle Kraft… Aber auch ich durfte erleben, dass diese Zeit auch künstlerisch eine Vorbereitung auf etwas Neues, nämlich viele neue Lieder, war.
Und die Tatsache, dass frau mit kleinen Kindern so “voll” ist, dass nichts oder kaum etwas andres Platz hat, teilen, so scheint mir, nur wenige.. eher ist es zeitgemäß bzw ein gewisser Druck vorhanden, immer alle Rollen als Frau gleichermaßen ausfüllen zu müssen.
Aber letztendlich spürt jede ohnehin selbst, was stimmig für sie in der jeweiligen Situation ist.
Violetta Parisini
02/03/202122:19Liebe Andrea, ja, es ist so eine Herausforderung, da den ganz eigenen Weg zu finden; es ist eine emotionale und praktische Gratwanderung.. alles Liebe!! Violetta