Streben und Sterben

Übermorgen ist endlich WellenklängeEröffnung, die meine Band und ich gemeinsam mit dem wunderbaren Schmusechor spielen dürfen. Heute mach ich mir also ein paar Gedanken zum Festival-Thema: Streben und Sterben. Alles Bleibt bewegt sich ja in genau diesem Spannungsfeld. Ich glaube, dass manchmal ein Teil von uns sterben muss, damit wir wieder streben können und wollen.

Sterben

Vor inzwischen 9 Jahren hab ich mich viel mit dem Tod befasst. Es war nichts, was ich mir vorgenommen hatte, er war einfach plötzlich da. Es begann damit, dass ich ein Kind bekam. Während der Geburt musste ich kämpfen, um bei Bewusstsein zu bleiben, der Schmerz war ganzkörperlich, alles greifend, es dauerte, es wurde kompliziert, Ärzt*innen wurden gerufen, es war ganz anders als gedacht, ich fühlte den Tod neben mir stehen.

Wir überlebten.

Doch danach, zuhause, erfasste mich die Todesangst erneut: zuerst die Angst, dieses kleine Wunderwesen könnte einfach zu atmen aufhören, es schien so fragil. Dann die Angst, ich könnte zu atmen aufhören, und es nicht weiter ins Leben begleiten. Und wenn mein Partner unterwegs war, hatte ich Angst um ihn.

Die Angst füllte mich aus, und ich brauchte einige Monate, und eine großartige Therapeutin, um zu verstehen, zu integrieren, ordnen, überwinden.

Angst ist für mich meistens auch Todesangst. Angst davor, nicht mehr sein zu können, wer ich war. Mich so stark zu verändern, dass ich mich nicht wiedererkenne, das alte Ich ist tot, das Neue noch nicht stabil. Sterben ist ein Übergang von einem Zustand in den anderen, und manchmal muss etwas sterben, damit etwas Neues leben kann. Das ist nachher dann vielleicht sehr schön, aber währenddessen verdammt schmerzhaft.

Während dieser Zeit gab ich anfangs noch viele Konzerte, mit Baby im väterlichen Arm im Backstageraum, auf die nächste Mahlzeit wartend. Mit einem Teil meines Herzens immer dort, bei dem Kind, mit schlechtem Gewissen auf allen Seiten. Mit dem Gefühl, das nicht alles schaffen zu können. Aber ich machte weiter, ich dachte, ich muss, ich konnte mein berufliches und finanzielles Überleben nicht riskieren.

Eines Abends, inzwischen war ich ein zweites Mal Mutter geworden, spielte ich ein Konzert, das ohne Resonanz blieb, oder vielleicht spürte ich sie nur nicht, jedenfalls war mir plötzlich klar: das geht so nicht weiter. Ich hab nichts mehr zu geben. Ich will gar nicht. Ich bin leer, erschöpft, im Herzen ganz bei diesen kleinen Wesen, nicht bei meinem Publikum. Ein Teil von mir war weg, unauffindbar, gestorben.

Atmen

Ich beschloss also, eine Pause zu machen. Es fühlte sich gefährlich, aber alternativlos an. Die Pause dauerte zwei Jahre, in denen ich mich mit meinen Kindern beschäftigte und mit meiner Rolle als Mutter. Es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht auch am Klavier spielend und singend darüber nachdachte, wo ich jetzt war. Ich wollte von all diesen Gefühlen erzählen, aber ich wusste nicht, wie. Ich rang um eine neue Sprache. Langsam entstanden meine ersten deutschsprachigen Lieder, „die Dunkelheit hat keine Farben“, und „Mehr Sein“.

Streben

Als ich nach zwei Jahren eine besonders attraktive Anfrage bekam, spürte ich zum ersten Mal in mir einen neuen Raum, in dem es vielleicht wieder möglich werden könnte, ein Konzert zu spielen. Ich nahm sie an, spielte das Konzert, es fühlte sich ganz neu und kräftig an. Es war ein Anfang. Viele Lieder waren nur halb geschrieben und oder wieder ganz verworfen, viele Zweifel nach wie vor aufrecht, aber ich wollte mich wieder dem zuwenden, was mir ein paar Jahre zuvor als unersetzlich und dazwischen völlig unmöglich vorgekommen war, meiner eigenen Musik.

Diese Musik war neu und anders und für mich so, als hätte ich eine neue Sprache erfunden. Eine Sprache, in der ich sagen konnte und wollte, was mich bewegt. Und langsam langsam erwachte in mir wieder das Streben, das Wollen, ein inneres Ziehen. Ich bin überzeugt davon, dass ich dieses Gefühl nicht mehr gefunden hätte, hätte ich keine Pause eingelegt. Ich will nicht singen, wenn ich nichts zu sagen habe, und diese Zeit, in der ich mehr mit der Neuordnung meines Lebens beschäftigt war, war eine, in der ich mich nicht mitteilen konnte. Wie dankbar ich bin, dass ich diese Pause machen konnte. Wie erleichtert darüber, dass mein Streben wieder gekommen ist. Wie froh ich bin, jetzt auf der Bühne stehen zu können und zu wissen, dass alles in mir genau das will.

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